Spuren zu hinterlassen setzt einen Raum, eine Umgebung voraus. Sei es eine abstrakte wie die Erinnerung oder eine physische, wie einen Sandstrand.
Spuren können von der einen in die andere Sphäre übergeben werden, von der abstrakten, nämlich gedachten, in die physische, den uns umgebenden Raum. Dass sich diese Spur im physischen Raum wieder abstrakt verhalten kann, macht den Reiz aus.
Wir glauben unsere Umgebung blind zu kennen, wir vertrauen und hoffen, dass sie so bleiben wird, damit wir uns nicht verirren. Verändert man jedoch auch nur einen winzigen Teil dieser vertrauten Umgebung ist alles anders: Man nehme ein einziges Sandkorn von einem Strand ist alles anders.
Wir haben Künstlerinnen und Künstler aus drei Ländern gebeten, in situ Spuren ihres Lebens und ihrer Kunst in den Ausstellungsräumen des E-Werks zu hinterlassen, die so vergänglich wie Ausstellungen sind, sich aber zugleich unausweichlich in unserer Erinnerung behaupten werden.
LEBENSSPUREN
eine Ausstellung im Rahmen der Regionale 17 in der Galerie für Gegenwartskunst im E-Werk Freiburg
kuratiert von Marcel Oettrich und Yvonne Ziegler
25.11.2016 – 08.01.2017
Vernissage am 25.11.2016, 19.00 Uhr
Öffnungszeiten: Do\Fr 17-20:30 Uhr, Sa 14-20:30 Uhr, So 14-18 Uhr, am So 08.01.2017 14-20 Uhr, nicht geöffnet 24.12.2016-01.01.2017
Vortrag: Kunst ortsbezogen
Prof. Dr. Angeli Janhsen, Kunstgeschichtliches Institut, Universität Freiburg
Sonntag, 08.01.2017 18:30 Uhr, E-WERK Kammertheater
Presse:
Badische Zeitung vom 29.11.2016: „[…] Yvonne Ziegler und Marcel Oettrich, Kuratoren der ungemein dichten Ausstellung „Lebensspuren“ im E-Werk, legen die Spur als Zeichen physischer Präsenz im Raum aus. Was sie interessiert, ist die Transformation eines Ortes durch die Anwesenheit von Leben, der Umschlag von Erfahrung in Erinnerung. […]“ – ganzer Artikel
Jugendblog Freiburg vom 01.12.2016: „[…] Eine der besten Ausstellungen dieses Jahres gibt es im E-Werk zu sehen. „Lebensspuren“ lautet ihr Thema, und die kommen hier mal als scharfkantige Schollen daher, von zart keimenden Pflänzchen aus der schroffen Kruste einer von der Französin Laurence Mellinger im Raum verteilten Gipswüste gebrochen, mal als Schneise der Zerstörung, wie sie der Freiburger Künstler Florian Thate unter maximalem Körpereinsatz mit einer einfachen Gabel in die Wand hackte, so dass jetzt sein 20-Meter-Bild wie eine Wunde im Putz klafft. […]“ – ganzer Artikel (Interview mit Fabio Luks)
Tages Woche vom 23.12.2016: „[…] Kunst zum Lesen, gibts das? Bei Fabio Luks schon. Der Bieler Künstler lotet im E-Werk Freiburg die Grenze zwischen Schriftstück und bildender Kunst aus.[…]“ – ganzer Artikel
Subculture Freiburg vom 23.11.2016: „[…] Physisch vergänglich wie die Ausstellungen selbst, wandeln sich die Spuren dort zu Erinnerungen der Betrachter. Trotzen folglich dem (eigentlich) unausweichlichem Zustand der Vergänglichkeit und drängen zurück in den Zustand der psychischen Unvergänglichkeit. […]“ – ganzer Artikel
TIMO ALT
1992 in Bamberg geboren, Studium der Kulturgeographie an der Friedrich Alexander Universität Erlangen-Nürnberg, seit 2015 Studium der Bildenden Kunst an der Hochschule für Kunst, Design und populäre Musik in Freiburg, lebt und arbeitet in Freiburg
www.timoalt.com
Timo Alt schätzt den gelenkten Zufall. Zunächst arbeitete er mit dem natürlichen Lauf verschiedener Flüsse, legte jeweils handgroße Tontafeln hinein und zeigte hinterher ihre unterschiedlichen Auswaschungen. Seit einiger Zeit baut er Staubsauger- und Fensterputzroboter so um, dass sie mit Farbe, Pinsel und Edding malen und zeichnen können. Durch die Automatismen und das Zusammenspiel zwischen gezieltem Eingriff und nur eingeschränkt vorhersehbarer Eigenbewegung entstehen reizvolle Gemälde. Für die in situ Arbeit im E-Werk arbeitet Alt mit einem Roboter zusammen eine Raumzeichnung aus, die teils auf Leinwand teils auf dem Boden verläuft und nach dem Wegnehmen der Leinwand Leerstellen lässt. Die Spuren sind an einer Wandseite zu sehen. Der Raum wird zum Resonanzraum von Mensch und Maschine.
Ohne Titel, 2016, Acryl auf Leinwand und Boden
Foto: Timo Alt
PETRA KEINHORST
1965 in Bochum geboren, Kunststudium an der Städelschule Frankfurt, lebt und arbeitet in Basel
keinhorst.ambitiouslemon.com
Petra Keinhorst schafft Naturenvironments, semitransparente Wachsplastiken sowie licht- und raumbezogene Installationen. Sie greift mit Stoffbahnen, die mit nachleuchtenden Pigmenten bemalt sind, in bestehende Raumstrukturen ein und verursacht verunsichernde Raumerlebnisse, die in Erinnerungen nachwirken. Ein einsames wächsernes Boot treibt auf dem Wasserlauf eines Schlossparks. Im öffentlichen Raum irritieren lebensgroße Wachsfiguren aufgrund ihrer transluziden geisterhaften Erscheinung. In der in situ Arbeit „steps and traces“ führt eine wächserne Treppe an einen unzugänglichen Ort im Nirgendwo. Sie ist eine Nachbildung der in der Säulenhalle befindlichen realen Treppe, die zum Oberlicht und den Künstlerateliers geleitet. Keinhorst nimmt dieses markante raumbestimmende Element auf, dupliziert es im halbtransparenten bildhauerischen Medium Wachs und markiert durch Aufstellung an der Wand einen Raum im Raum. Das fein abgestimmte Licht erhöht die schimmernde unwirkliche Erscheinung der Wachstreppe, die gleichsam einer geisterhaften Erinnerungsspur ähnelt. Wachsbeigaben wie ein Vogel, eine Blume und eine Plastiktüte bereichern das atmosphärische Moment durch symbolische Referenz und Bezug auf die Außenwelt. Sie sind Spuren gelebten Lebens, verweisen auf Vergängliches, stehen für Natur und menschliches Wirken im Zeitalter des Anthropozän. Auch das Material ist ephemer: das verwendete Hartparaffin ist kaum noch zu erhalten und die von Keinhorst verwendete Masse basiert auf früheren wieder eingeschmolzenen Werken. Lebensspuren im Spannungsfeld von Entstehen und Vergehen, Abformen und Einschmelzen.
steps and traces, 2016, Hartparaffin
Foto: Marcel Oettrich
FABIO LUKS
1982 in Biel/CH geboren, Bachelorstudium in Philosophie an der Universität Basel, Absolvent des Fine Arts Masterstudiengangs der Fachhochschule Nordwestschweiz in Basel, lebt und arbeitet in Basel und Biel
fluks.ch
Fabio Luks interessiert sich für die Art wie Menschen miteinander kommunizieren. „Es gibt Situationen, in denen jemand so viel spricht, dass der Zuhörer unfähig ist auch nur einen klaren Gedanken zu fassen.“ Er untersucht wie sich Bilder in verschiedenen Epochen ausdrückten: Zeichen (Hieroglyphen), figürliche Repräsentation von Religion und Staatsmacht, Form und Farbe, Sprechblasen und gemalte Wörter. Palimpsest artig überlagern sich Bild- und Textebenen. Einzelne Wörter werden eingekreist, ausgelöscht oder hervorgehoben. Das zu Sehende ist immer Ausschnitt eines größeren gedachten Textes. Luks Texte sind Spuren vom Hier und Jetzt, also Ausdruck von Raum und Zeit. Sie geben unmittelbar die Gedanken des Künstlers beim Erschaffen der Arbeit wieder, richten sich oft an die BetrachterIn, was durch die Personalpronomen „Du“ oder „Sie“ angezeigt wird. In der Säulenhalle gilt es dem Schriftzug aktiv zu folgen, lesend durch den Raum zu gehen. In der Wandarbeit sehen wir uns einer (Schul-) Tafel gegenüber, schlüpfen in die Rollen BetrachterIn und SchülerIn. Verstehen wir, was der Künstler uns sagen will? Möchte er uns etwas sagen? Wir dürfen und müssen entscheiden.
November E-Werk, 2016, Acryl, Sprayfarbe, Dispersionsfarbe auf Wand
Foto: Marcel Oettrich
LAURENCE MELLINGER
1972 in Metz/F geboren, Absolventin der l’École nationale supérieure des Beaux-Arts Paris sowie der l’École nationale supérieure des Arts Appliqués et des Métiers d’Arts Paris, lebt und arbeitet in Mulhouse
laurence.mellinger.free.fr
Laurence Mellinger setzt sich mit lebendigen Hinterlassenschaften und sprechenden Umgebungen auseinander. Kratzspuren an Häuserwänden werden aufgenommen und zu Schmuckstücken verarbeitet. In Schweden modellierte sie anhand von Fotografien ephemere Eisformationen in Gips nach. Im Freiburger Environment „e“ lässt sie die Leben spendende Kraft, die in Samenkörnern schlummert, im Lauf der Ausstellung sichtbar werden. So leblos, abweisend und einengend der Gipsgrund auch erscheinen mag, täglich mit Wasser besprengt, suchen sich keimende Pflanzen ihren Weg durch das feindliche nährstofflose Material an die rettende Oberfläche. Spuren dieser Lebenskraft sind vergängliche wie beständige Lebensspuren. Von draußen fallen einzelne Lichtstrahlen in den Raum. Natürliche Helligkeit mischt sich mit den durch Farbfilter erzeugten künstlichen Lichtfarben. Der langsam entstehende artifizielle Garten versucht die Dichotomie von Kultur und Natur aufzuheben, vereint Kultur in Form von Gips (klassisches Bildhauermaterial und Konstruktionsmasse im Bau) und konstantem elektrischen Licht mit Natur in Form von Pflanzen, sich darin einnistenden Tieren und sich ständig veränderndem natürlichen Licht. „e“ ist ein wundersames Biotop an einem total künstlichen, naturfernen Ort, eine Kulturlandschaft im Kunstkontext, die den Blick auf die nahezu überall vom Menschen gestaltete Umgebung schärft. „e“ ist auch ein weiter zu denkender Wortanfang, der für die Unbezwingbarkeit und Wildheit der Natur stehen könnte
Die Arbeit „chercher la source“ nimmt in Form von Tonaufnahmen auf den Wasserbedarf der Pflanzen und das E-Werk als einstige Energiequelle Bezug: Unter anderem sind fließendes Wasser, aneinander klackende Eisschollen, von Wasser durchtränkter Boden und das Summen von Elektrizität zu hören.
„e“, 2016, Farbfolie, Teichfolie, Gips, Wasser, Farbe, Pflanzensamen
Foto: Marcel Oettrich
Chercher la source, 2016, Audiofile
FLORIAN THATE
1982 in Konstanz geboren, Kunststudium an der Hochschule für Kunst, Design und populäre Musik in Freiburg, seit 2016 Masterstudium Fine Arts an der Fachhochschule Nordwestschweiz in Basel, lebt und arbeitet in Freiburg
Von der Malerei kommend schafft Florian Thate Werke mit herkulischem Einsatz von Körperkraft und verdichteter Materialität. Sie sind spürbar energetisch aufgeladen. Dabei setzt sich der Künstler einen Gestaltungsrahmen; etwa jeden Tag mit einem gefundenen Gegenstand und nach einem bestimmten Schema kleine Holztafeln kratzend zu bearbeiten oder eine schwarz lackierte Metallplatte, die auf einem Kiesuntergrund liegt, mit Händen und Füßen so lange zu malträtieren bis er körperlich erschöpft ist. Nach intensiven Betrachtungen von Wandmalereien in Pompeji entstand die Idee zur in situ Arbeit „Gabel“. Über einem umlaufenden, an der Wand angebrachten Metallwinkel trägt Thate einen horizontalen Streifen Farbe auf, um die Schiene ästhetisch zu duplizieren. Anschließend bearbeitet er den bemalten Wandstreifen mit einer im E-Werk gefundenen Gabel. Die gedankliche Vorbereitung und strenge Konzeption sowie das tatsächliche Schaffen hinterlassen für begrenzte Zeit Spuren im Raum. Zudem werden die Metallwinkel und die auf sie geflossene Farbe und Putzreste anschließend in neuen Werken fortbestehen. Kunstwerke tragen die Spuren vorangegangener Werke in sich.
Gabel, 2016, Aluminiumwinkel, Acrylfarbe, Wandputz
Foto: Marcel Oettrich